Ich muss zugeben: als ein Bekannte mir das Konzept “Active-Office” erklärte, hatte ich einige Verständnisschwierigkeiten. Es klang irgendwie… zu kompliziert. Als ich die Videos zum Konzept sah und das Buch dazu gelesen habe, war ich begeistert. Aber wie realistisch ist es wirklich, dieses, meiner Meinung nach geniales Konzept, tatsächlich umzusetzen?
Was ist das ACTIVE OFFICE?
Kurz erklärt, die Idee vom ACTIVE OFFICE ist, die ganze Arbeitsweise im Büro zu ändern. Es geht nicht darum, ergonomisch zu sitzen oder ab und zu im Stehen zu arbeiten, sondern das Konzept soll für mehr Bewegung an unserem Arbeitsplatz sorgen in dem wir tatsächlich… in Bewegung arbeiten.
Im ACTIVE OFFICE wird die Arbeit und Bewegung quasi miteinander verschmolzen. Der Arbeitsplatz besteht nicht aus einem, z.B. in der Höhe verstellbaren Tisch, sondern wir haben tatsächlich zwei Arbeitsflächen:
- Eine Arbeitsfläche in der Sitzposition
- Eine Arbeitsfläche in der Stehposition
Es wird regelmäßig zwischen diesen zwei Flächen gewechselt. Dadurch befinden wir uns praktisch in ständiger Bewegung im büro.
Woher kommt das Konzept?
Das Konzept wurde von dem selben Mann entwickeln der den dynamischen Bürostuhl Swopper erfunden hat: Josef Glöckl. Swopper bringt mehr ergonomie in die Büroarbeitswelt. Mit ACTIVE OFFICE kommt ein ganzes Bürokonzept. Das Credo: “Arbeit in Bewegung” reduziert nicht nur die Muskelverspannungen und Rückenbeschwerden, sondern verbessert das Herz-Kreislauf-System und steigert Konzentration und Produktivität. In dem Buch Active Office findet man unter anderem einige sehr interessante Fakten und Ergebnisse von Studien die ich persönlich so kompakt dargestellt noch nirgendwo gesehen habe.
Konventioneller Büroarbeitsplatz
Die übliche Büroarbeit wird im Sitzen erledigt. Der Arbeitsplatz ist so organisiert, dass alle Dokumente und Utensilien, sowie Tastatur und Maus, sich in Reichweite befinden, sodass ein Aufstehen aus dem Bürostuhl nicht nötig ist. Dies wird sogar als ineffiziente Zeitverschwendung angesehen. Deshalb hat man entschieden, dass wir lieber bequem, oder, fachlich ausgedrückt, ergonomisch sitzen.

Für deutsche Büros sind die Anforderungen an die Gestaltung eines Arbeitsplatzes unter anderem in der Deutschen Industrienorm (DIN) festgelegt. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird durch die Berufsgenossenschaften überwacht. Hier sind zwei Sachen interessant:
- Bei dem nach DIN genormten Büroarbeitsplatz ist Bewegung oder Abwechslung gar nicht vorgesehen, sondern nur Höhen-, Tiefen-, Breiten- und Abstandsmaße und Winkel. Das wird als Ergonomie “verkauft”.
- Da es meist mehr als 20 Jahre dauert, bis sich neue Erkenntnisse in einer Norm wiederfinden, ist die Norm regelmäßig veraltet. Eine Erneuerung der Norm findet meistens nur auf Druck der Industrie statt, die sich damit vor Wettbewerbern schützt. In solchen Fällen kann die Norm schneller aktualisiert werden.
Im Prinzip ist jeder Arbeitgeber frei in seiner Entscheidung und kann auch beschließen, dass alle Mitarbeiter z.B. Sitzbälle erhalten oder Stühle ohne “GS”-Zeichen. Das wird aber natürlich kein Arbeitgeber machen, denn er haftet, wenn etwas passiert. Deshalb wird Büromöbel angeschafft die der DIN entsprechen, auch wenn diese veraltet ist.
Langes Sitzen: Was passiert mit unserem Körper?
Die gesundheitlichen Schäden, die durch nicht “artgerechte Haltung” des Menschen im Büro verursacht werden, sind wirklich groß und sie nehmen zu. Betroffen ist unser Ganzer Körper: Ohne Belastung werden Knochen demineralisiert. Ergebnis: Osteoporose. Ohne Bewegung über eine längere Zeitspanne degenerieren Gelenke. Ergebnis: Arthritis und Arthrose. Behalten wir eine bestimmte Körperhaltung über einen längeren Zeit bei, muss die Muskulatur statische Haltearbeit leisten, wofür sie von der Natur nicht geschaffen ist. Ergebnis: Verspannungen und dadurch verursachte Schmerzen. Wir können mit Auflistung weitermachen. Die Liste wäre ziemlich lang und außerdem wir wissen doch alle, dass Sitzen für lange Zeit nicht gut ist. Aber wie sieht es eigentlich mit Stehen aus?
Höhenverstellbare Schreibtische
Die Bürostühle sind bequem (Verzeihung, “ergonomisch”) und je bequemer der Bürostuhl, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass der Besitzer stundenlang darauf sitzen bleibt.
In Deutschland (und auch in anderen Ländern) machen immer mehr Unternehmen gedanken um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Sie stellen höhenverstellbare Tische zur Verfügung. Das ist gut gemeint. Die Idee ist, dass ständiges, konventionelles Sitzen Rückenschmerzen am Arbeitsplatz verursacht und verantwortlich für andere Beschwerden und Krankheiten ist. Deshalb soll man zwischendurch im Stehen arbeiten.
Dadurch werden abwechselnd zwei statische Haltungen eingenommen: eine im Sitzen, eine im Stehen. Laut Autoren des Buches Stehen ist zwar besser als nur zu sitzen, aber es fordert mehr bewegung im büro nicht. Außerdem sind hier noch zwei Aspekte zu beachten:
- Steht man zu lang unbewegt, können die Beine anschwellen (“Verkäuferinnen-Krankheit”), die Bildung der Krampfadern wird begünstigt und wir werden schnell müde. Damit hilft Stehen gegen das Problem der Bewegungsarmut im Büro gar nicht.
- Die Praxis zeigt, dass diese Schreibtische meist tief eingestellt bleiben und nur wenige, disziplinierte Menschen sie in die Höhe verstellen. Diesen Punkt kann ich nur bestätigen: jeder Mitarbeiter (und jede Mitarbeiterin) in meiner Firma hat einen Höhenverstellbaren Tisch. In unserem Büro arbeiten über 200 Leute. Nur sehr wenige nutzen ihren (ziemlich teuren) Tisch “richtig”. Wozu auch? – Wir alle haben ja bequeme, ergonomische Bürostühle :-).
Ein “menschengerechter” Arbeitsplatz und das ACTIVE OFFICE Konzept
Sitzen ist schlecht, unbewegt auf längere Zeit zu stehen ist auch nicht gut. Also – Bewegung.
Dabei ist erwiesen, dass spontane, intuitive Bewegungen viel positiver auf menschlichen Organismus wirken als “Lineare, erzwungene Bewegungen“.
Welche Kriterien muss also unser optimaler Arbeitsplatz erfüllen und vor Allem wie soll er aussehen? Zusammen mit seinem Team hat Josef Glöckl folgende Kriterien formuliert:
- die Arbeit soll so organisiert sein, dass sie auf möglichst unterschiedliche, ständig wechselnde Art erledigt wird,
- sie soll möglichst viele, unterschiedliche Bewegungsmuster fordern,
- unterschiedliche Tätigkeiten müssen einander abwechseln,
- es soll ein ständiger Wechsel von Körperhaltungen und Bewegungsmuster erfolgen,
- keine Arbeitshaltung soll länger als 20 Minuten beibehalten werden,
- dieselbe Tätigkeit soll gleich effizient an der Steharbeitstistfläche und an der Sitzarbeitsfläche durchgeführt werden können,
- Bodennahes Arbeiten soll zeitweise mit integriert werden,
- bei Aufgaben, die einen längeren Zeitraum beanspruchen, soll eine Erinnerungsfunktion auf einen Positionswechsel hinweisen.
In einem ACTIVE OFFICE wird von jedem Wunsch oder Bedürfnis Bewegung ausgelöst. Alle Tätigkeiten (z.B. Das Holen eines Dokuments oder das Bearbeiten eines Vorgangs), die bei Büroarbeit anfallen, werden nicht mehr an einem Schreibtisch erledigt, sondern im “Bewegungsraum”.
ACTIVE OFFICE – Die wichtigste Einrichtungsgegenstände
Die “ACTIVE OFFICE DESKS”
Zwei Arbeitsflächen. Eine zum Sitzen und eine zum Stehen. Beide sind mit Bildschirm, Tastatur und Maus ausgerüstet. Wichtig! Arbeitsflächen sind leer, bis auf den Vorgang, der gerade bearbeitet wird. Diese “clean desk policy” fördert Bewegung, weil wir jede beendete Arbeit ablegen und jeden neuen Vorgang erst holen müssen.
Ein “Sideboard”
Ein Organisationsmöbel, in dem sich die gesamte Ablage, alle Dokumente, Vorgänge, Termine, Büromaterial, Handy-/Smartphone-Ladestation, Kaffeetasse etc.befinden. Die Idee ist, dass man sich immer bewegen muss, um etwas zu holen oder zurückzulegen. Das “Sideboard” ist vertikal angeordnet. Die einzelnen Vorgänge und Utensilien liegen auf unterschiedlichen Niveaus, damit man in die Knie geht oder sich streckt, um etwas zu holen.
Ein “Bewegungsraum”
Dieser befindet sich zwischen den beiden Arbeitsflächen und dem “Sideboard”. Die spontanen, komplexen, intuitiven, von der Absicht ein Ziel zu erreichen ausgelösten Bewegungen finden in diesem Raum Statt. Die Befriedigung jedes “Wunsches/Bedürfnisses” (Anheften, Nachsehen, Telefonieren, Ablegen etc.) verlangt Bewegung.
“ACTIVE OFFICE FLOOR”
Eine Bodenmatte, die abwechslungsreiche Reize, wie sie sich etwa im Gehen auf Waldboden ergeben, ins Büro bringt (harte Böden ermüden beim Stehen und kommen in der Natur nicht vor).
Beim Stehen auf dieser Matte soll man angeblich über die Fußsohlen die eingeschäumte unregelmäßige Struktur der Matte fühlen. Diese Reizen werden ans Gehirn geleitet, was uns aktiv und aufmerksam hält. Der Bewegungsraum ist mit einer oder mehreren dieser Matten ausgestattet. Auf jeden Fall liegt sie aber vor der Steharbeitsfläche.
Ein “aktiv dynamischer Bürostuhl”
In einer Arbeitshaltung soll man maximal 20 Minuten bleiben. Deshalb muss der Wechsel zwischen Sitz- und Steharbeitsfläche leichter und schneller möglich sein. Das gelingt durch einen aktiv dynamischen Bürostuhl, der auf einer Feder gelagert ist, mit bodennahem Drehpunkt und der intuitiv den Bewegungen des Benutzers folgt.
Eine “aktiv dynamische Stehhilfe”
Stehen ist besser als Sitzen, weil es einen größeren Bewegungsfreiraum erlaubt. Aber Stehen kann mit der Zeit trotzdem ermüden. Deshalb braucht man eine Art flexible Stehhilfe als Unterstützung zur Verlagerung der Stehzeiten.
Ein “ACTIVE OFFICE TRACKER”
Da manchmal die Bearbeitung eines Vorgangs länger als 20 Minuten dauert, gibt es den “ACTIVE OFFICE TRACKER”. Er besteht aus einigen Sensoren, die die im Sitzen, im Stehen und im Bewegungsraum verbrachte Zeit messen und aufzeichnen. Die Zeitspanne, nach der er an einen Positionswechsel erinnert werden möchte, kann vom Benutzer festgelegt werden. Ist die Zeitspanne abgelaufen, fängt eine kleine Lampe an zu leuchten. Sie leuchtet mit der Zeit immer heller und beginnt nach fünf Minuten zu blinken bis man seine Haltung ändert. Nach einem Positionswechsel erlischt die Lampe.

Organisation der Arbeit für mehr Bewegung am Arbeitsplatz
Wir wollen Bewegung in die Arbeitsvorgänge integrieren. Dafür müssen wir die Organisation der Arbeit verändern. Die wichtigsten Grundsätze dafür:
- Alle Arbeiten von kurzer Dauer werden im Stehen erledigt: E-mails schreiben, Termine vereinbaren, kurze Besprechungen etc.
- Für alle Arbeiten, die mehr Zeit in Anspruch nehmen, muss man einen regelmäßigen Positionswechsel durch organisatorische Regeln vorsehen (oder sowas wie ACTIVE OFFICE TRACKER verwenden)
Die mögliche organisatorische Regeln wären:
- ein Wechsel nach jeder erledigten Aufgabe
- ein Wechsel nach einem Kundenkontakt
- ein Wechsel nach jedem eingegangenen Auftrag
- ein Wechsel nach jedem Telefongespräch
- ein Wechsel nach einer bestimmten Zeitspanne (10 Minuten, 20 Minuten)
- jedes Mal, wenn wir Smartphone checken (das tun wir im Durchschnitt 46 Mal pro Tag)
In Abhängigkeit von der individuellen Aufgabenstellung können wir unsere eigene Regeln festlegen.
Das Arbeiten im Stehen ist immer besser als im Sitzen: der Stoffwechsel ist besser aktiviert, es werden mehr Kalorien verbrannt und es ist leichter möglich dynamisch zu stehen als dynamisch zu sitzen. Aber das Ziel ist nicht, möglichst lange zu stehen, sondern Möglichst oft die Position zu wechseln! Denn, genau die Dynamik des Wechsels bringt den gesundheitlichen Mehrwert.
Fazit
Das Gesamtkonzept ACTIVE OFFICE hat mich ziemlich begeistert. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das Buch Active Office nur zu Marketingzwecken geschrieben ist. Auch das Konzept ist sehr durchdacht.
Die Autoren geben sehr viele Nützliche Tipps und Informationen. Dazu noch 10 Typische Szenarien. Für alles würde kein Blogbeitrag reichen.
Ich muss gestehen, dass für mich und meine aktuelle Verhältnisse es völlig utopisch ist, das Konzept in seiner Standardkonfiguration umzusetzen (Alles zusammengerechnet kostet fast 3000€). Auch kenne ich bisher keinen Arbeitgeber, der seinen Arbeitnehmer ihre Büros in dieser Form ausstattet (außer vielleicht Larry Page, CEO von Google, der selber gerne auf dem “Swopper” sitzt).
Aber was ich sehr positiv finde ist, dass der Autor und Erfinder Josef Glöckl uns dazu ermutigt die Idee, das Konzept zu nehmen und versuchen selber umzusetzen. Je nach unseren Platzverhältnissen und finanziellen Möglichkeiten hat unsere Kreativität und Fantasie keine Grenze.
Mein ganz persönliches Active Home-Office
Inspiriert vom Konzept haben wir zuhause ein “Active-Home-Office” umgesetzt. Was haben wir verwendet:
- Ein Elektrisch höhenverstellbares Tischgestell mit einer IKEA Tischplatte als Alternative zum ACTIVE OFFICE DESK für den Wechsel zwischen Sitzen und Stehen.
- Einen Sportball als alternative zum Swopper
- Einen Bürohocker als Alternative zum Muvman
- Den Timer auf dem Smartphone als alternative zum ACTIVE OFFICE TRACKER

Seit etwa einem Monat arbeiten mein Mann und ich abwechselnd in unserem eigenen Active-Home-Office und ich muss sagen, es macht tatsächlich einen bemerkbaren Unterschied, sorgt für mehr Bewegung im home-office und am Ende des Tages fühle ich mich “frischer” als früher.
Im großen und ganzen gibt’s ja nur zwei Anforderungen:
- Jeder neue Vorgang oder Wunsch löst Bewegung aus.
- Du bleibst in einer Position nicht länger als 20 Minuten.
Ich kann sagen: Ist machbar! 🙂
